"Ansiedlung auf den Weg gebracht"
Der Neukieritzscher Bürgermeister Henry Graichen zieht Bilanz und schaut voraus
Neukieritzsch. Lautstark wie in jedem Jahr begrüßten die Neukieritzscher mit Raketen und Böllern das neue Jahr. Bürgermeister Henry Graichen lässt das Jahr 2010 Revue passieren und blickt auf
2011.
Frage: Das Jahr 2010 ist Geschichte? Was brachte es Ihnen persönlich?
Henry Graichen: Mein Sohn ist in diesem Jahr drei Jahre alt geworden. Ich bin glücklich, wenn ich sehe, wie er aufwächst. Zum ersten Mal habe ich 2010 auch meine Nichten Liesel
und Loreley gesehen, die 2009 geboren wurden. Meine Schwester lebt in Manchester. Ich habe mich gefreut, sie wiederzusehen.
Was hat das Jahr 2010 für die Gemeinde gebracht?
Ich möchte mich auf drei Dinge konzentrieren. Dazu gehört die Entwicklung in Kahnsdorf und am Hainer See. So ist es der Blauwasser GmbH gelungen, das denkmalgeschützte Friedrich-Schiller-Haus
instand zu setzen. Mittlerweile beherbergt es ein Trauzimmer. Auch die Bebauung in der Lagune ist angeschoben. Der Bau der Erschließungsstraße hat im Herbst am Hainer See begonnen, Ende des
dritten Quartals soll sie fertig sein. Es wurden auch Vorbereitungen getroffen, um ein Mischgebiet am Hainer See zu entwickeln.
Als Zweites möchte ich die "Lebendige Stiftung" nennen. Sie hat unter anderem bewirkt, dass sich unter dem Motto "Gemeinde in Bewegung" 70 Bürger auf die Räder setzten und die Kirchen in allen
Ortsteilen abfuhren. Mit dieser Aktion ist es gelungen, die Verbundenheit der Neukieritzscher Ortsteile zu stärken.
Drittens hat mich besonders bewegt, was Großzössener für Großzössen auf die Beine gestellt haben. Daran hat die Interessengemeinschaft "Neue Helene" einen großen Anteil. Der Vereinigung ist es
gelungen, dass in Großzössen wieder Leben einzieht.
Was hat Sie 2010 besonders geärgert?
Mich ärgert, dass die Gemeinden im Freistaat Sachsen nicht ernst genommen werden. Es erfolgt nur eine formale Beteiligung der Kommunen über den Städte- und Gemeindetag. So gibt der Bund Mittel
für den Ausbau der Krippenstrukturen und für die Betriebskosten. Doch diese reicht der Freistaat an die Kommunen nicht weiter, da er der Meinung ist, dass die 1800 Euro pro Kind und Jahr
ausreichend sind, die er bereits an sie zahlt. Doch dabei vergisst er, dass die Kosten für die Einrichtungen ständig steigen.
Unbefriedigend ist auch, dass es in Neukieritzsch nur einen Vollsortimenter, Edeka, gibt. Der ehemalige Penny-Markt in der Nordstraße steht noch immer leer. Das Problem ist hier die Anbindung an
eine große Verkehrsader. Der Eigentümer des Ledigenwohnheims hat im vergangenen Jahr einen Anlauf im Gemeinderat gewagt, einmal abzuchecken, was erforderlich ist, um in seinem Gebäude einen
Anbieter anzusiedeln. Doch bisher erfolgte vonseiten des Eigentümers kein Bauantrag. Ich sehe aber eine Chance, wenn die B176 umverlegt wird. Dann könnte der Gewerbestandort, auf dem sich
gegenwärtig das Autohaus Mai befindet, interessant für Discounter werden.
Wann liegt der Neukieritzscher Etat für 2011 vor?
Ich gehe davon aus, dass wir unseren Haushalt im Februar beschließen werden. Es ist der erste doppische Haushalt. Doppik ist ein Kunstwort, das den Begriff doppelte Buchführung abkürzt. Dazu muss
eine Bewertung der Grundstücke und Gebäude erfolgen. Diese ist fast abgeschlossen.
Was werden die Schwerpunkte im Jahr 2011 sein?
Der Ortsteil Großzössen wird in diesem Jahr weiterhin im Fokus der Gemeinderäte stehen. So soll es mit dem Rückbau von Gebäuden und dem Straßenbau weitergehen. Diese Maßnahmen werden spürbar zu
einem schöneren Ortsbild für Großzössen beitragen.
Nicht zuletzt ist avisiert, die Mehrzweckhalle fertigzustellen. Wir gehen davon aus, dass dies im September erfolgen wird.
Wie steht es um die Entwicklung des Industriestandortes Böhlen-Lippendorf?
Der Zweckverband Planung und Erschließung des Industriestandorts Böhlen-Lippendorf brachte im vergangenen Jahr eine neue Ansiedlung auf den Weg. Die Firma Weidenhammer Plastic Packaging möchte in
den nächsten beiden Jahren ihre in Zwenkau ansässige Produktion erweitern - im benachbarten Industriegebiet Böhlen-Lippendorf. Zwischen 60 und 80 Arbeitsplätze will Weidenhammer zusätzlich
schaffen. Das hat viele Unternehmen neugierig gemacht, was uns auch hoffnungsvoll stimmen lässt. Wir brauchen weitere Arbeitsplätze in der Region.
Was erwartet die Neukieritzscher auf kulturellem Gebiet?
Die Interessengemeinschaft "Neue Helene" in Großzössen organisiert vom 3. bis 5. Juni ein Dorffest. Die Neukieritzscher Sportfreunde feiern am 11. und 12. Juni 20-jähriges Bestehen und blicken
auf 90 Jahre ursprüngliche Vereinsgründung zurück. Der Männerchor Lobstädt begeht seinen 165. Geburtstag, das wird voraussichtlich am 25. Juni sein. Die Kieritzscher feiern am 2. und 3. Juli ihr
Dorf-, Teich- und Kinderfest. Die Kahnsdorfer Feuerwehr hat angekündigt, vom 12. bis 14. August das Feuerwehr- und Parkfest durchzuführen. Selbst in Lobstädt soll vom 1. bis 3. Juli gefeiert
werden. Ich gehe davon aus, dass es im September das Neukieritzscher Heimatfest gibt. Die Hainer Seepiraten planen ein Sommerfest in Kahnsdorf. "Neugierig in Neukieritzsch" wird es schließlich am
5. November geben.
Auf was freuen Sie sich, 2011 umsetzen zu können?
Zum einen, nimmt die Erschließung und Entwicklung des Industriegebietes Böhlen-Lippendorf Formen an, die aufhorchen lassen. Zum anderen wird die Entwicklung des Mischgebiets in Kahnsdorf eine
anspruchsvolle Aufgabe werden. Wir brauchen Arbeitsplätze und attraktive Wohnmöglichkeiten. Ich bin auch optimistisch, dass es 2011 für Deutzen eine Lösung gibt. Es ist Nonsens, dass wir 4,5
Millionen Euro Finanzausgleich zahlen und die Gemeinde Deutzen mit fünf Millionen Euro verschuldet ist. Wenn Deutzen zur Gemeinde Neukieritzsch gehören würde, könnte das Geld in der Region
bleiben und wäre gut angelegt.
Obwohl die Gemeinde Neukieritzsch zu den reichen Gemeinden gehört, kann sie sich also nicht alle Wünsche erfüllen?
Das ist richtig. Das Beispiel Deutzen zeigt es. Doch bisher ist es uns auch nicht gelungen, eine Tankstelle für unseren Ort zu begeistern. Und es ist uns noch nicht möglich, bei der Einwohnerzahl
einen Zahn zuzulegen.
Interview: Cornelia Braun
Henry Graichen: Die Erschließung und Entwicklung des Industriegebietes Böhlen-Lippendorf nimmt Formen an, die aufhorchen lassen.
Bürgermeister Henry Graichen freut sich auf die weitere Entwicklung im Industriegebiet Böhlen-Lippendorf. Foto: Günther Hunger